Wie aus einem alten, streunenden Kater unser Oldi wurde

von Brigitte-Devaia

Es war eiskalt draußen!

Es war Winter und es lag viel Schnee.

 

Wir stellten die Futterreste von unserem geliebten Kater Giesi regelmäßig vor unsere Terrassentüre, damit sich die verwilderten, hungrigen Katzen, von denen es in der Gegend viele gab, daran sattessen konnten. Waren die Futterschalen abends auch rand-voll, am nächsten Morgen waren sie stets vollkommen leer und so sauber ausge-schleckt, als kämen sie gerade frisch aus der Geschirrspürmaschine.

Eines Abends wollte ich wieder eine Schale vor die Türe stellen, da huschte ein alter, zerzauster Kater vorbei. Unsere Blicke trafen sich. Er stand eine Weile wie angewurzelt still da. Ich schaute in zwei weit aufgerissene, grasgrüne Katzenaugen. Da war etwas in seinem Blick, das mich nicht mehr losließ. Und dann, als ich den Rest des Katers anschaute, überkam mich pures Mitgefühl. Er sah schauerlich aus, völlig zerzaust, ramponiert, verletzt und krank. Mir kamen die Tränen und ich beschloss in diesen Augenblicken, ihm zu helfen.

Das arme Tier machte sich wohl öfter über die Futterreste her, musste sich den Weg jedoch jedes Mal hart erkämpfen. Drei wohlgenährte, satte Nachbarskater bewachten die Schalen manchmal wie einen Schatz und vertrieben ihn mit lautem Geschrei. Doch der alte Kater hatte brennenden Hunger und kam immer trotzdem immer wieder. Wir erfuhren später, dass auch unsere Hausmitbewohner den Kater immer wieder vertrieben und dies gleich mit Stöcken und Steinen. Sie verscheuchten ihn vom Grundstück, weil seine Markierungen entsetzlich stanken. Verständlich ja, doch warum so gewaltsam?

Ich erzählte Johannes von meiner Begegnung mit dem Kater und wir beteten jeden Tag für ihn. In der Meditation erhielt ich alsbald die Lösung: Ich stellte dem armen Tier jeden Abend eine Schale Essen unter unsere Holzterrasse, einem für ihn sicheren Platz, wo kein Schnee lag und es dunkel und windstill war und ihn die anderen Kattzen nicht sofort entdecken konnten. In dieser Zeit waren die Hausnachbarn meistens schon in ihren Wohnungen. Jeden Abend zur gleichen Zeit stapfe ich durch den Schnee und stellte ihm eine Futterschale hin. Er konnte sich auf mich verlassen.

 

Immer wenn ich an ihn dachte und das war recht oft, schickte ich ihm innere Bilder der gefüllten Futterschale nur für ihn und er tauchte tatsächlich auch jeden Abend pünktlich um acht Uhr zum Essen auf.
Zuerst hielt ich einen großen Abstand ein, während er die Mahlzeiten nervös in schnellen Happen verschlang. Doch bereits beim dritten oder vierten Mal durfte ich näher kommen. Ich testete es immer aus, wie weit ich vorrücken durfte. Kam ich ihm zu nahe, wich er zurück.


Es waren wunderbare Tage. Zu wissen, dass er nun regelmäßig Essen bekam, stimmte mich glücklich. Ich konnte es kaum erwarten bis es wieder Abend wurde und er sich auf das Essen stürzte. Meistens weinte ich vor Freude und zugleich vor Mitgefühl. Nach etwa zwei Wochen durfte ich schon direkt neben ihm stehenbleiben beim Essen. Und nach drei Wochen stellte ich die Schale nicht mehr unter die schneegeschützte Terrasse, sondern direkt vor unsere Terrassentüre. Dort war es ebenfalls schneegeschützt durch ein Dach und ich blieb bei ihm bis er gegessen hatte. Keine andere Katze wagte sich heran in dieser Zeit. Der Kater fühlte sich sicher in meiner Nähe und wurde rasch zutraulicher. Und es kam der Moment, in dem ich ihn an seiner Stirn berühren durfte. Ganz vorsichtig. Ganz zart. Ganz langsam. Alsbald fing der Kater an, seinen Kopf an mir zu reiben und mir zu zeigen, dass er mir vertraut und mich mag. Sein Allgemeinzustand verbesserte sich zunehmend.

Ich bat Johannes darum, ihm einen warmen, isolierten Schlafplatz am Haus zu bauen. Nachdem er sich darin nachts tatsächlich aufgewärmt und wohlgefühlt hatte, wurde er dann doch von den anderen drei Katzen des Hauses wieder vertrieben. Daraufhin beschlossen wir, den Kater in unsere Wohnung zu holen und für den Kater begann eines neues, wenn auch kurzes, schönes Leben.

 

Wir brachten ihn zuerst einmal zum Arzt, um ihn untersuchen, behandeln und kastrieren zu lassen. Danach war er bei uns in der Wärme und wurde bestens versorgt. Nach der OP schlief er einige Tage erschöpft und eingerollt in seinem neuen Nestchen bei uns, ließ sich sehr gerne von uns streicheln und von Giesi, unserem jungen Kater, beschnuppern. Giesi, unser Liebling, war sehr freundlich zu dem Häufchen Elend, als wüsste er, wie es um den alten Kater bestellt war, der lange brauchte, um sich zu erholen. Er hatte zu viel durchmachen müssen und dies wahrscheinlich jahrelang.

Johannes gab ihm den Namen Oldi, denn er war schon richtig alt und er war ein richtiges 'Urgestein'. Sein Körper war übersäht von den Narben alter Verletzungen, die Ohren waren mehrfach eingerissen, er humpelte und er hatte den unheilbaren Katzenschnupfen. Selbst die Ärztin war über seinen Allgemeinzustand erschrocken. Hoffnung auf vollständige Genesung gab es nicht mehr. Doch es gab noch Hoffnung auf einen schönen Lebensabend bei uns, der dann tatsächlich noch dreieinhalb wunderschöne Jahre dauerte.

Oldi blieb gerne bei uns. Nur noch ein einziges Mal zu Beginn war er nocheinmal fortgewesen, vielleicht, um sich von seiner alten Umgebung im angrenzenden Wald und im Dorf zu verabschieden? Nachdem Stunden vergangen waren und er immer noch nicht zurückgekommen war, wurde ich unruhig. Plötzlich schreckte Giesi hoch und lief schnell hinaus. Nach etwa einer viertel Stunde kamen beide Kater zurück. Giesi hatte Oldi abgeholt, der von den Nachbarn wieder mit Steinen beworfen worden war, als er zu uns zurückkommen wollte. Ich stellte die Nachbarn auch zur Rede.
Da wir damals wegen unserer spirituellen Gesinnung von allen Ecken und Ebenen her und auch von den Vermietern und Mitbewohnern attackiert wurden und eine wirklich sehr schwere Zeit durchmachten, wollten wir ohnehin das Mietverhältnis kündigen und schnell in den Schwarzwald ziehen. Oldi war nun ein zusätzlicher Grund. In den Monaten bis zu unserem Auszug waren die beiden Kater immer um uns herum. Sie gingen im Frühling nicht einmal mehr in den großen Gemeinschaftsgarten hinaus. Sie lagen nur auf unserer Terrasse, passten gut aufeinander auf und vertrieben von dort alle anderen Katzen. Uns kam es manchmal so vor, als wüssten sie schon, dass bessere Zeiten auf uns alle zukommen würden.

Es gab viele wunderschöne Momente mit den beiden 'Jungs'. Giesi und Oldi schliefen beide in unserem Bett. Oldi war jeden Abend pünktlich um zehn Uhr im Bett und wartete auf uns alle. Er legte sich jedoch erst entspannt hin, wenn seine ganze, neue Familie versammelt war.
Aus dem verwilderten Kater, der wahrscheinlich viele Jahre ums nackte Überleben gekämpft hatte und deswegen auch schwer krank war, wurde ein überaus liebenswerter und anhänglicher Hauskater. Wie haben wir gestaunt, als Oldi begann, sich eifrig zu putzen. Sein struppiges Fell wurde immer weicher und glänzender. Da gab es zuerst innerlich und dann auch äußerlich eine wunderbare Verwandlung.

Alsbald zogen wir aus dem Mehrfamilienhaus, einer alten Mühle am Waldrand, aus. Ich werde nie den Tag vergessen, an dem ich unsere beiden Kater in Reiseboxen im Auto verstaut hatte und wir das Haus und das Grundstück endlich verließen. Ich war unbeschreiblich erleichtert. Wir spürten allesamt, dass bessere Zeiten folgen würden. Und das war auch dringend nötig, denn mit meiner Gesundheit stand es nicht zum Besten.

Es war ein unvergesslicher Freudenmoment für uns und auch für die Katzen, als wir im neuen Zuhause, einem kleinen Berghäuschen in den Bergen des Südschwarzwalds ankamen. Wir hatten ihren Essplatz, Schlafplatz und ihre Toilette natürlich schon vorbereitet. Nachdem sie von ihrem ersten Schnupperabenteuer durchs ganze Haus zurückkamen, haben sie wie selbstverständlich gegessen, getrunken und ihre Toilette benutzt als wären sie nie woanders gewesen. Sie haben am helllichten Tag sogar ihre weichen Nestchen im Bett gefunden und ausprobiert.

Es folgten wunderbare Tage in purer Harmonie und dies trotz der vielen Arbeit. Menschen und Tiere waren zuhause angekommen - zumindest für eine Weile. Wir werden die Zeit dort niemals vergessen. Wir fühlten uns alle sehr geborgen und auch die beiden Kater waren dort auf Anhieb sehr glücklich. Und wir waren erstaunt, wie schnell sie sich in ihrer neuen Umgebung wohlfühlten. Wir erholten uns alle von der schlimmern Zeit, die wir durchgestanden hatten. Mein Sohn wohnte zu meinem Glück wieder bei uns. Er arbeitete unter der Woche am Bodensee in der alten Heimat und kam jedes Wochenende überglücklich ins neue Zuhause. Und die beiden Tiere freuten sich jedes Mal sehr über seine Heimkehr. Wenn er dann am Sonntagabend wieder traurig wegfahren musste, legten sich Giesi und Oldi nicht selten in sein Bett. Es musste ja schließlich bewacht werden!

Unser Zusammenleben mit den beiden Tieren war dort im Hüsli von Anfang an entspannt, was auch daherrührte, dass wir den feindlichen Attacken entkommen waren und die neuen Nachbarn und Dorfmitbewohner sehr freundliche Menschen waren. Auch Oldi und Giesi hatten keine Kämpfe mit anderen Katzen zu bestehen und blühten richtig auf. Oldi war stets dort, wo wir gerade waren. Das Allerwichtigste für ihn war es, sich neben uns auf die Eckbank zu setzen und uns ganz aufmerksam beim Essen zuzuschauen. Oldi war aber auch gerne im kleinen Garten, verließ ihn jedoch nur mit uns zusammen.

Wir sind mit beiden Katern immer einmal wieder gerne ein paar hundert Meter den Berg hinter dem Haus hinaufspaziert und setzen uns oben in die Wiese, um den Ausblick zu genießen. Oldi humpelte uns fröhlich hinterher und setzte sich dann neben uns, während der junge Giesi durch die nahe Umgebung tobte. Beide Kater hatten auch miteinander viel Freude und legten sich auch hin und wieder nahe aneinander.

Dicke Freunde: Oldi links und Giesi rechts

Das große Schaufester des ehemaligen Dorfladens im Haus hatte es ihnen besonders angetan. Warum auch immer, sie mochten es, dort hinzusitzen und hinauszuschauen. Und die Leute, die vorbeikamen, amüsierten sich köstlich über die zwei.

Oldi und Giesi im Schaufenster

Gerne hätten wir das süße Häuschen mit dem Schaufenster in den Bergen gekauft, doch wir mussten anderthalb Jahre später in ein anderes Häuschen ein paar Berge weiter ziehen, das wir dann im Laufe der Zeit mit viel Mühe und Einsatz renoviert haben. Ich glaube, dass das alles sowohl für uns wie auch für die beiden Kater ein großer Stress war. Doch wichtig für beide war es, dass sie weiterhin bei uns im großen Bett schlafen durften und weiterhin die Futternäpfe gefüllt wurden. Das neue Häuschen sollte nun für längere Zeit unser Zuhause werden. Es wurde deutlich, dass für Oldi glücklicherweise das Allerwichtigste war, bei uns zu sein – egal wo wir wohnten. Er war stark auf uns bezogen.


Ich erinnere mich an einige tiefe Erlebnisse mit ihm während unseren Meditationen. Er wollte bei unseren Meditationen immer dabei sein und setzte sich am liebsten auf den Schoß von Johannes. Allmählich konnten wir uns davon überzeugen, dass Katzen übersinnlich sind und merken, wenn sich unsichtbare Geistwesen nähern. Jedes Mal, wenn sich ein Engelwesen oder Geistwesen näherte und die Atmosphäre im Zimmer heller und feiner wurde, was wir im Laufe unserer langjährigen Meditationspraxis deutlich wahrnehmen konnten, wurde auch Oldi hellwach und richtete sich auf. Bei einer Meditation wusste ich, dass er einen inneren Wachheitsschub gemacht hat und in seiner Entwicklung weiter gekommen war. Ich weiß nicht, wie ich das anders erklären kann. Es war jedenfalls ein sehr berührendes Gefühl.

Und dennoch rückte die Zeit seines Heimgangs ins Jenseits immer näher. Nach und nach wurde er schwächer und die Spritzen der Ärztin halfen ihm nicht mehr. Ich spürte, dass er bald sterben würde. An einem Nachmittag im August verabschiedete er sich noch von mir, ging fort und kam nicht wieder nach Hause. Ich ließ geschehen, weil ich spürte, dass es für ihn so richtig war. Er zog sich zum Sterben in die nahe Natur zurück. Für mich war es überaus schmerzlich, denn ich hätte ihn so gerne festgehalten, doch Oldi brauchte seine Freiheit.

Ich war lange untröstlich und auch sein Freund Giesi hat wochenlang getrauert. Giesi aß eine zeitlang nur wenig und legte sich im Haus und im Garten auf die Plätze, wo Oldi immer gelegen hatte. Er sah sehr traurig aus und es war offensichtlich, dass er seinen Freund sehr vermisste. Ansonsten steckte er immer bei mir, war um mich, neben mir, auf mir, einfach immer da. Giesis Nähe tröstete mich sehr. Ein Trost für mich war es auch, Oldi im feinstofflichen Körper bei uns zu spüren. Einige Male sah ich ihn im Bett liegen und fühlte auch seinen Körper an meinem. Es roch sogar nach Oldi und ich hörte seine einmaligen Grunzgeräusche. Doch was hätte ich darum gegeben, ihn streicheln zu können. Auch Johannes vermisste seinen geliebten Oldi sehr und lenkte sich mit Arbeit etwas von seiner Trauer ab.

Wir alle vermissen noch heute diesen köstlichen, alten Kater, der grunzen konnte wie ein Schweinchen, quaken wie ein Frosch, mähen wie ein Schäfchen und schnurren wie ein echter Kater eben schnurrt, wenn es ihm so richtig gut geht. Wir werden Oldi immer lieben!   

Oldi erholte sich langsam vom Stress und dem Leid vieler Jahre