Das verwilderte Fienchen

von Brigitte-Devaia

Fienchen lebte anderthalb Jahre lang mit Fieni im Garten an einem verlassenen Haus. Sie war verwildert und scheu und doch auch neugierig.Wir fuhren jeden Tag bei Wind und Wetter zu ihnen, um sie zu füttern. Damals war es für uns undenkbar, auch noch die beiden zusätzlich bei uns aufzunehmen. Wir hofften auf eine gute Lösung.
Im Sommer und Herbst haben wir uns gelegentlich in den Garten gesetzt, um bei den beiden Tieren zu sein. Das haben sie auch gerne angenommen. Meistens liefen sie zuerst einmal eine zeitlang aufgeregt hin und her und dann haben sie sich auch einmal in unsere Nähe gelegt. 

 

Dann im Spätherbst haben wir beschlossen, die beiden nicht noch einem weiteren eisigen Winter in den Bergen zu überlassen. Wir haben kurzerhand unsere kleine Werkstatt für die beiden ausgeräumt und ihnen Schlafplätze, einen Futterplatz und Verstecke eingerichtet. Wir stellten auch einen elektrischen Heizkörper und ein altes Sofa mit weichen Decken hinein. Nun konnten unsere neuen Gäste einziehen.

 

Fieni konnten wir problemlos in eine Transportbox hineinstecken und mitnehmen. Fienchen einzufangen, das war sehr viel schwieriger. Die ersten zwei Versuche schlugen fehl. Daraufhin verschwand sie blitzschnell und beleidigt für gewisse Zeit. Ratlos baten wir in einer kleinen Zeremonie die Naturwesen, die die Katzen begleiten, uns zu helfen. Und etwas Erstaunliches passierte.

Wir versuchten, Fienchen zu überlisten. Johannes stand mit offener Box bereit und ich fing sie von hinten als sie ins Essen vertieft war. Obwohl ich sie mit festem Griff gepackt hatte und sie in die Box stecken wollte, zappelte sie sich frei und glitt mir aus den Händen. Dann geschah etwas Merkwürdiges: Fienchen flog wirklich in hohem Bogen direkt in die Box hinein, die etwa ein Meter weiter weg stand und Johannes konnte schnell den Deckel schließen. Wir schauten uns ungläubig an und fingen an zu lachen. Danach dankten wir den Naturwesen und brachten die selbst bestimmt auch erstaunte Katzendame in ihr neues Zuhause.

 

Fienchen hatte damals wegen starkem Parasitenbefall einen regelrechten Dauerhunger. Weiße Würmer hingen aus ihrem Popo heraus. Sie hatte ein dickes, aufgequollenes Wurmbäuchlein. Nachdem ich Entwurmungstabletten in kleinen Hackfleischbällchen versteckt hatte, die sie in windeseile vertilgte, ging es ihr bald besser. Sie wurde ruhiger und fing sogar an, sich mir zu nähern.

 

Die Zeit in der warmen Werkstatt muss dem Fienchen sehr gefallen haben, denn sie strich immer gerne um den warmen Elektro-Heizkörper herum, den wir aufgestellt hatten und schnurrte dabei in den ulkigsten Tonlagen. Warm dürfte sie es in ihrem Leben nie gehabt haben und weich auch nicht. Man sagte uns, dass sie noch nie mit Menschen gelebt hat und ihr Leben lang verwildert war. Die wilde Dame war in dieser Zeit mindestens acht Jahre alt und glücklicherweise zäh und recht gesund.

Ich setze mich oftmals auf das Sofa in der Werkstatt, das wir für die Katzen aufgestellt hatten und schaute ihr beim Essen zu. Und eines Tages dann traute sie sich neben mich auf das Sofa zu kuscheln. Ich spürte dabei die Überwindung ihrer Angst vor Menschen. Nach und nach erlaubte sie sogar Berührungen und Streicheln. Was auch immer dieses arme Tier in seinem Leben durch Menschen erfahren hatte, es kann nichts Gutes gewesen sein.

Den Kater Fieni haben wir bereits nach ein paar Wochen ins Haus nehmen können. Katze Fienchen nicht. Sie hat sich schließlich 'ihren' Platz in der Werkstatt selbst ausgesucht - ganz oben unter den Balken und Brettern. Dort fühlt sie sich sehr wohl und sicher und dort habe ich ihr dann ein weiches Nestchen aus Decken in einem Holzkasten gebaut, in dem sie schlief.

Als ich einmal nachts mit der Taschenlampe nach ihr schaute, weil er stürmte, lag sie ganz entspannt und eingerollt in ihrem Nest. Es war übringens das erste wirklich sichere und warme Nest in ihrem Leben.

Sie war immer ganz aufgeregt, wenn ich ihr Futter brachte und sie traute sich sogar bis an die Balkontüre, um ihr Essen abzuholen, wenn ich einmal nicht schnell genug war und sie Hunger hatte. Und Hunger schien sie immerzu zu haben.

Wenn sie sich in der warmen Jahreszeit aus ihrem Unterschlupf herauswagte und zu uns in den Garten kam, strich sie uns immerzu um die Beine, sodass man kaum gehen konnte. Kurzes Streicheln erlaubt sie uns, doch nur kurz. Wir spürten, dass sie sehr dankbar war, dass wir ihr Essen und einen warmen Schlafplatz und Liebe gaben. Für sie war das bisschen schon das ultimative Glück.

Fienchen war in gewisser Weise lange unsere Sorgenkatze und wir wussten nicht, wie es mit ihr weitergehen kann. Wieder einmal vertrauen wir darauf, dass alles gut werden wird. Und es wurde alles gut! Fienchen hat sogar das große Los gezogen! Eine liebe Tierfreundin, der auch viel an dieser Katze liegt, fand für sie ein schönes Zuhause. Fienchen lebt nun bei einer Familie, die im Grünen wohnt und das Gute ist, dass sie die einzige Katze dieser Familie ist und somit die absolute Königin. Und ich bin überglücklich, wie alles gekommen ist, denn ich hatte die wilde, scheue, starke Katzendame sehr lieb.